Ein Blick auf den Pazifik

Mittwoch, 13. Juli 2011

Durch Höhen und Tiefen - das dritte Quartal in Costa Rica

Das dritte Quartal war vor allem eines: eine emotionale Achterbahnfahrt. Ein überragender Urlaub, Entlassung von zwei Arbeitskollegen, dafür mehr Verantwortung bei der Arbeit, Streit und nachfolgender Auszug aus der Gastfamilie, kennen lernen einer sehr netten, neuen Gastfamilie, vorübergehende  Stilllegung eines Arbeitsprojektes, Wiederbelebung jenes Projektes, Schaden am eigenen PC und Vorfreude auf die kommenden Wochen.

Ein überragender Urlaub – eine überragende Erfahrung

Das Leben, das habe ich vor allem hier festgestellt, ist geprägt von Zufällen. Bevor mir meine Bundeswehr-Ausmusterung bekannt gegeben wurde, war es nicht absehbar, dass ich ein Jahr nach der Schule in Costa Rica verbringen würde. Dass Schulfreund Marcel, nachdem er  nach der Stufe 11 das Fach Spanisch mit nicht allzu überragenden Ergebnissen abgewählt hatte, nach der Schule ein Jahr in Ecuador verbringen würde, war genauso wenig absehbar. Und doch beschlossen wir beide, „weltwärts“ zu gehen. Dass beide Länder in relativer Nähe sind, ist wohl wieder einer dieser Zufälle.
So waren wir unregelmäßig und unverbindlich im Kontakt, bis sich langsam die Idee herauskristallisierte, dass man eigentlich die Gunst der Stunde bzw. des Jahres nutzen sollte und sich auch mal 10.000km von Schwalbach entfernt zu treffen. Ich entschied mich 18 Tage über Ostern gen Süden zu ziehen und den südamerikanischen Kontinent erstmals zu betreten.
Wenn ein „Weltwärtsler“ einen anderen „Weltwärtsler“ in einem „weltwärts“-Land besucht, ist das natürlich kein normaler Urlaub. Ein anderes Land, eine andere Entsendeorganisation, eine völlig andere Partnerorganisation…Einsatzstelle, Arbeit und Alltag meines Kollegen haben mich natürlich brennend interessiert. Da sieht man auch schon: welchen normalen Urlauber interessieren schon Arbeit(sstelle) oder Alltag? Folglich wurde Marcel an zwei Werktagen von mir begleitet. Von seiner Arbeit war ich sehr beeindruckt. An einer Grundschule gibt er Englisch- und Sportunterricht. Zusätzlich hat er an einer anderen Grundschule eine Judo-AG aufgebaut. Ich wurde auch aktiv eingebunden und durfte Vokabel-Tests korrigieren, sowie die halbe Judo-Trainingseinheit leiten (bin selbst ehemaliger Judoka).
Abends gab es dann einen, für mich, unvergesslichen Abend mit Lehrerkollegium und Elternbeiräten.
Das Privileg in seiner Gastfamilie zu wohnen, hatte ich auch. Eine sehr nette Geste von ihnen und für mich wieder ein neues Erlebnis.
Der „echte“ Urlaub durfte dann letztendlich doch nicht fehlen. Sightseeing in Quito, sowie eine gemeinsame Backpacker-Tour quer durch den Süden des Landes, von der Küste über die Anden bis zu den Anfängen des Amazonas. Strand, sichtbare Folgen der Erderwärmung, Goldmine, Diebstahl, Krankheit, verlorene Pfade, Fahrten auf Pickup-Ladeflächen, wilde Hunde, dubiose Kolumbianer, Inka-Ruinen, wunderschöne Ausblicke, Regenwald und viele gute Gespräche all inclusive. Für im Schnitt weniger als 15€ pro Tag. Auf der Südtour wurden wir begleitet von, wem wohl?; zwei weiteren „weltwärts“-Kollegen, also weiterhin viel Gesprächsstoff.
Es waren für mich 18 fantastische Tage, an die ich gerne zurückdenke.


Zwei weniger

Nur 14 Stunden nach Rückkehr aus Quito war ich dann auch wieder an der Arbeitsstelle. Es sollte auch gleich ein sehr turbulenter Tag werden. Erst hieß es, eine Arbeitskollegin wurde entlassen, am Nachmittag waren es dann schon zwei. Das hieß natürlich miese Stimmung im Büro, Tränen und rote Köpfe.
Ich habe ein schlechtes Gewissen, es auszusprechen, aber im Grunde genommen haben Freiwilligenkollege Max und ich davon profitiert. Aufgabenbereiche wurden nun neu strukturiert, so bekamen wir die Rotkreuz-Fußballmannschaft aus dem Problemviertel „Los Guido“ anvertraut und hatten in diesem Bereich fortan viele Freiheiten zur Entwicklung eigener Ideen. Traininigseinheiten leiten, Spiele betreuen und, und, und. Am Wochenende regelmäßig auf dem Fußballplatz zu stehen, wurde zum Standard, was uns jedoch nicht störte, waren wir doch mit Spaß dabei.


Absoluter Tiefpunkt

Die Gründe, die Umstände und die Art und Weise meines Auszuges aus der 1. Gastfamilie waren zweifelsohne der absolute Tiefpunkt meines Aufenthaltes in Costa Rica, Erlebnisse, die mein Gesamtfazit am Ende deutlich herunterziehen werden. Es ist eine lange Geschichte, daher nur das Wichtigste. Die finanzielle Situation war ab Januar extrem prekär, die Stimmung entsprechend schlecht. Wegen Lapalien brach häufig Streit aus. Einmal stellte mein Mitbewohner Marc-Paul fest, dass ihm 15€ fehlten, eines Tages gab es keinen Strom mehr. Wir stellten zwei Wochen später fest, dass uns das Kabel durchgeschnitten wurde (war wohl ein Versuch der Stromverbrauchsreduzierung). Die Konfrontation der Familie damit, die dubiose Erklärung dafür, die Überprüfung des Wahrheitsgehaltes dieser Erklärung und die anschliessende Reaktion darauf führten dann zum Auszug. Im Nachhinein denke ich jedoch: lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.

Neubeginn

In meiner neuen Gastfamilie fühle ich mich nun sehr wohl und trauere der alten Familie kein bisschen nach; obwohl ich mich mit einigen Familienmitgliedern gut verstanden hatte.
Ich fühle mich gut aufgehoben, sicher, man interessiert sich für das, was ich tue und mache. In nur zwei Monaten, so finde ich, hat sich ein vertrauensvolles Verhältnis entwickelt. Die Familie ist kirchlich sehr aktiv, so lerne ich dadurch noch ein paar Seiten des Landes kennen.


Auf der Arbeit

war ich zunächst etwas enttäuscht, fehlten für ein Arbeitprojekt, das Kollegin Lena und mir anvertraut wurde die Mittel, sodass es eine Zeit lang ruhte. Nach einigen kleinen Änderungen in der Ausführung konnte dann doch begonnen werden. Ich fuhr in verschiedene Orte des Landes, um die Jugendrotkreuz-Feedback-Fragebögen ausfüllen zu lassen, sowie mich mit den Leuten über die örtliche Situation des JRK zu unterhalten. So führten mich diese “Dienstfahrten” nach Cariari und Guápiles in der Provinz Limón, Heredia, Barranca in der Provinz Puntarenas und Miramar der Provinz Guanacaste.
Inzwischen haben wir um die 70 Menschen interviewt, keine schlechte Bilanz, doch erwartet uns noch viel Arbeit in den kommenden Wochen, um das Projekt abzuschließen.
Ansonsten gab es noch kleinere Tätigkeiten: an einem Tag teilten wir auf der Straße Flugblätter zum Thema “Verkehrssicherheit” aus, einmal gab ich für Freiwilligenkollegen Max Deutsch-Vertretungsunterricht in “Los Guido”, Mithilfe in Los Guido bei den Feierlichkeiten des San Isidro, als das Rote Kreuz im Rahmen eines anderen Projektes etwas vorführte und an einem Tag nahmen wir Jugendliche aus Los Guido mit in einen Park in einem anderen Stadtteil.


Ansonsten

merke ich schon, dass mir nicht mehr viel Zeit in Costa Rica bleibt. Ich hoffe, dass ich in den kommenden Wochen noch so viel mitnehmen kann, wie möglich. Von meinen 24 Tage Urlaub habe ich noch einiges übrig. Vor allem möchte ich nicht nach Hause zurückkehren und verpassten Chancen nachtrauern.

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